#5 | Chemistry & Botanic's, Brussels, Belgium
Visit: Spring/Summer 2022
Mein Brüssel-Aufenthalt Ende Frühjahr diesen Jahres startete, was die Bar-Vorbereitung angeht, etwas enttäuschend und anstrengend. Nachdem ich aufwendig wie so oft alle Listen, Rankings und viele Tipps online durchstöbert hatte, Menüs begutachtet, Fotos verglichen, usw., merkte ich erst eine Woche vor meinem Trip, dass ich ja garnicht am Wochenende, sondern Anfang der Woche dort sein werde. Meine Befürchtungen wurden bei erneutem Check dann wahr, natürlich (wie auch in vielen anderen Großstädten), hatte die deutliche Mehrheit der interessantesten Bars montags und dienstags geschlossen.
So wurden nochmal schnell für die 2 Abende die je 2 besten Möglichkeiten rausgesucht, die passenderweise jeweils auch nur Montag oder nur Dienstag geöffnet hatten.
Den Start legte direkt eine der beiden vielversprechendsten hin, zumindest was das online komplett einzusehende Menü (vorbildlich!) betraf, das Chemistry & Botanic's, mitten im Brüsseler Business-Viertel zwischen dem weltberühmten Grand Place und Palais de Bruxelles.
Die Lage ist sehr angenehm, ein Mix aus klassischen Stadtpalais und modernen Büro-/Apartment-Gebäuden dazwischen, hochwertige Geschäfte, nicht so touristisch wie nur 2 Straßen weiter noch in der Altstadt. Eine ideale Location für eine moderne City-Bar und eben dies ist das C&B auch, sowohl das Menü passt gut in dieses Setting, als auch die Ästhetik.
Dies kann man positiv wie negativ sehen: Wirkliches, nächtliches Speakeasy-Feeling oder classy Herrenclub-Atmosphäre kommt ganz sicher nicht auf, ich würde gar behaupten für manche klassischen Bar-Freunde ist die Bar schlicht zu hell. Sie wirkt auf den ersten Blick mit ihrer Offenheit, grünen Akzenten (und Decke, siehe Fotos) und eben Helligkeit wie ein leicht gehobenes Ketten-Tagescafé wenn man es überspitzt ausdrücken möchte. Ist aber tatsächlich eine reine Cocktailbar, ab 17.30 Uhr geöffnet. Fast schade, gerade mit dem Design und frischem Look würde es meiner Meinung nach sehr viel Sinn machen, noch eine minimale Küche & kalte Kleinigkeiten, sowie Low-ABV & No-ABV Drinks anzubieten und schon mit den Mittagspausen zu beginnen.
Am Ende des eigentlich nur einen längeren Raumes ist die kleine, ebenfalls eher schlicht-moderne Bartheke mit der ebenfalls typisch-soliden City-Bar Ausstattung, hier kommt vllt. nicht der Spirituosen-Connaisseur auf seine Kosten, aber bei dem spannenden Menü ist dies auch keinesfalls nötig. Bedient wurde ich schnell, sehr höflich und mit top Englisch, alles nicht überraschend, aber doch angenehm in Brüssel.
Hier das Menü:
Chemistry & Botanic's Menu 2022
Auch hier: Modern, eher schlicht, aber auch nicht langweilig designt, alles schlüssig und gut abgestimmt, es macht definitiv Lust zum durchtesten und genau das ist ja ideal.
Gut genug war das Menü sogar, mich zu einem Schritt zu führen, der nun wirklich ganz selten passiert: Ein Longdrink (!) wurde zum Start bestellt, der "This is not a Cuba Libre".
Appleton und Smith & Cross gehen schonmal immer, Angostura und Black Walnut Bitters versprechen schonmal eine schöne Tiefe zusammen mit den Rums als Rum Cola Riff und dann das für die Order entscheidende, "American Oak Barrel Soda". Auf Nachfrage später wurde mir sogar bestätigt, dass sie selbst tatsächlich vor Ort fassgelagert wird, was mich doch überraschte, ich fand’ es schon interessant genug eine fertige (ein paar gibt es in den USA) bottled Barrel Soda in einem Cuba Libre Twist zu probieren.
Gut, die Präsentation im Chemieglas ist nun wirklich etwas, das man jetzt schon gute 10-12 Jahre kennt, aber in dem Fall passt es ja doch zur Bar bzw. dem Logo und Namen, dafür sonst schön schlicht, eine tolle Farbe hat der Drink auch live, Ahorn mit einem goldenen Glanz und feiner Perlage. Auch im Geschmack konnte er voll punkten, in der Nase gedörrte Limette, die Eiche kommt direkt durch, Melasse, Vanille und geröstete Nüsse. Im Antritt dann Jamaica Funk, aber schön gedeckt von Nüssen und der Eiche, Kastanie, feiner Rauch, Malz, etwas Lakritz sogar im Finish. Top 10 Longdrinks die letzten Jahre ohne jedes Problem.
Nachdem ich nun wusste, dass das Menü nicht zuviel verspricht, wurde die zweite Wahl nun eine Qual, da ich auch beruflich unterwegs war, konnten es wirklich nur 2 Bars á 2 Drinks pro Abend sein, sonst hätte ich wohl die halbe Karte durchprobiert.
Es wurde der "Assam Aleykoum", nach einem Longdrink musste es dann doch wenigstens der klassische Whisky-OF-Twist zumindest als Abschluss sein.
J.W. Black Label, Calvados, Angostura, Orangenblütenwasser und Assam-Teesirup versprachen einen aromatischen, eleganten und doch durch den Black Label auch charaktervollen und leicht rauchigen Drink und hielten dies auch genau so ein. Ein schöner Körper und doch ätherisch abgeschliffene Kanten, nochmal minimalistischere Präsentation im Japan-Stil, schön dünnes Glas, klasse Eis, reicht.
Direkt zu Beginn wurde mir im Übrigen auch eine Sonderkarte zur "Chartreuse Week" (wohl im gesamten franz. sprachigen Raum, wie die Negroni Week) gegeben, auch eine coole Sache und wünschenswerte Abwechslung, aber da ich ja für die Signatures vorbeischaute, für mich leider uninteressant. Was ich jedoch noch wissen musste, war, was hinter den zwei interessanten Positionen des Menüs steht: "Random Batch Bottom" & "Exclusive Cocktail Limited Edition". Ersteres wurde vergessen zu erläutern, da man extra den Chef für letzteres fragen musste. Der Batch Bottom wird wohl die lustige Idee sein, für 2-3€ weniger (10€ dann) leergehende Flaschen oder vom Menü laufende Drinks zu bekommen? Der Limited Edition war diesmal etwas, das man häufig sieht: Ein Vintage Negroni mit 1970s Campari & Gin. Nichts für mich, aber auch an sich eine nette Idee, wenn sie denn wirklich häufig wechselt.
Abschließend lässt sich nur sagen, dass ich wirklich froh war das C&B als meinen Start in die Brüssel-Tour herausgesucht zu haben. Nach der Befürchtung nicht meine Top-Picks aufgrund der Öffnungszeiten besuchen zu können, hat mich die Bar doch sehr positiv überrascht und ich hätte am liebsten noch 2-3 mehr Drinks vom Menü testen wollen. Eine deutliche Empfehlung, sollte man nicht komplett dem eher hellen, offenen und vielleicht etwas schlichten Design unwillig gegenüberstehen.