#6 | The Trust, Kraków, Poland


Visit: Summer 2022

Wir werden hier zwar sicher keine vollständige Analyse über den Zustand der polnischen Barindustrie in den letzten Jahrzehnten schreiben. Aber um wirklich zu verstehen, was The Trust von so vielen anderen Orten der Barkultur unterscheidet, die nicht einmal als Konkurrenz angesehen werden können, brauchen wir ein wenig Kontext. In positiven, wie negativen Fällen entscheidet der Markt und die Kunden, was angeboten wird. Die klassische Cocktailbar, die sich auf Spirituosen konzentriert, Geschmackserlebnisse schafft und versucht, von dem zu lernen, was in anderen Teilen der Welt passiert, hat oft eine schwierige Aufgabe:
Mit einem Kunden konfrontiert zu werden, der einfach nur einen Shot Alkohol für eine Partynacht, einen teuren, aber überzuckerten Drink, der zum Lebensstil der Neureichen und fast Berühmten passt, oder ein ganzes kulinarisches Erlebnis mit angeschlossenem Restaurant haben möchte.

Es ist absolut erwähnenswert, wie viele Bars in Polen versuchen, sich von den Ansprüchen der Touristen und Einheimischen zu lösen. Denn das Talent und die Leidenschaft sind hier vorhanden. Die Leute hinter den Theken kommen von ihren Exkursionen an anderen Orten zurück und haben gesehen, wie in London, Lissabon und Berlin getrunken wird. Sie wollen dies in ihre Städte bringen und dem Ganzen noch einen einzigartigen lokalen Twist geben. Diese Ansprüche sind jedoch oft ein Hindernis, das viele nicht überwinden können.

Nicht so im Fall von The Trust. Gegründet von einem Team, das zuvor - und vielleicht sogar in Zukunft wieder - an Krakaus bekanntester klassischen Cocktailbar Mercy Brown beteiligt war und mit Stolz zeigt, was es gelernt hat, indem es zum Beispiel das Death & Co Barbuch im Regal ausstellt. Sie sind sich des schmalen Grats zwischen Innovation und Navigation der Bar-Landschaft sehr bewusst. (Leider ist es Mercy Brown seit dem Weggang nicht mehr gelungen, das wiederzuentdecken, was es einst zu einer der besten Bars der Stadt machte).

Der Bartresen / Copyright: The Trust

Die Karten folgen einem musikalischen Thema, wobei die meisten Getränke nach Liedern benannt sind. Während andere Bars einfach irgendeinen Songtitel neben ihre Kreationen stellen, bekommt man im The Trust genau das, was man erwartet, wenn man hört, dass ein Getränk Blue (natürlich in Anlehnung an den Song von Eiffel 65 aus dem Jahr 1998) heißt. Das Gleiche gilt für Getränke, die nach Sinatra-Songs benannt sind. Ratet mal, welches Getränk zu dieser boozigen und charmanten Stimme passen würde, die in den 50er Jahren rauchgefüllte Räume unterhielt. Das Gleiche gilt für Elvis, dessen Drinks geschmeidig und seidig daherkommen.

Blue (Da Ba Dee)

  • Ostoya Wodka

  • Cointreau

  • Weißer Schokoladen Schaum

Dieser Drink wird sicherlich für Diskussionen sorgen, und ihn hier als den ersten von drei zu erwähnen noch mehr. Aber er ist nicht nur einfach lecker, wenn auch ziemlich schlicht, was die Süße angeht, sondern er zeigt auch, wie man den Spaß am Bartending der 80er und 90er Jahre in ein neues Jahrhundert bringen kann. Er hat zwar keine 30 verschiedenen Säfte, keinen blinkenden Strohhalm oder einen Namen wie "Pornstar Martini", dafür aber hochwertige Zutaten, kulinarische Einflüsse mit hausgemachtem Schaum und gerade genug 90er-Jahre-Kitsch, um für Gesprächsstoff zu sorgen. Er dient auch als Einführung in das Potenzial von Wodka in modernen Bars.

Suspicious Minds

  • Woodford Reserve

  • Vestal Black Cherry

  • Martini Rosso

  • Kaffee-Infusion mit lokalen Bohnen

Mein persönlicher Favorit von der letzten Karte. Ein geschmackvoll erweiterter Manhattan, was sonst? Da ich ein Fan von Sherry und Portwein-lastigem Scotch bin, fügt der dunkle Kirsch-Wodka genug Kraft und anhaltende Frucht hinzu, ohne so süß zu sein, dass er den Bourbon und den Kaffee, mit dem er infused ist, überschattet. Die Kaffeebohnen stammen von einer lokalen Rösterei in Krakau, mit fantastischer Qualität und ich hoffe, dass ihre Produkte auch in späteren Menüs verwendet werden.

The Hobbit

  • Botanist Gin

  • Apfel

  • Thymian

  • Bergamotte

So beliebt, dass er als einer der wenigen Drinks der vorigen Saison, auf der aktuellen Karte beibehalten wurde. Wenn er nicht The Hobbit heißen würde, würde ich ihn nach einer Potion aus The Witcher benennen und mit der polnischen Natur in Verbindung bringen. Aromatisch und kräuterlastig, aber zugänglich. Der Apfel ist hier weniger fruchtig und fügt eher einen Hauch von Apfelschalen hinzu, der Drink ist auf dem letzten Bild ganz unten auf der Seite zu sehen.

Die Kunst liegt darin, mühelos Jahrzehnte an Cocktailkultur zu überbrücken und zugänglich machen zu können, ohne arrogant zu wirken oder sich in einer Vision zu verlieren, die nur dem Barkeeper gefällt. Während der allgemeine Geschmack in The Trust in Richtung süß und einfach zu trinken tendiert, wird etwas, das auf einem Manhattan basiert, als solcher erkennbar sein, ein cremiger Dessertdrink wird nie zu schwer sein und moderne, milk-washed Punches werden nicht übertrieben, nur um einen Trend zu bedienen. Es gibt eine solide Auswahl an Single Malts, die in Polen leider immer noch schwer zu finden sind, solide R(h)ums, Gin und natürlich einen Schwerpunkt auf Craft Vodka, der meiner Meinung nach sogar einen prominenteren Platz auf der Speisekarte haben könnte. Es ist schön zu sehen, dass Cava, spanischer Schaumwein, hier viel mehr verbreitet ist als Champagner.

Es gibt natürlich immer die Möglichkeit Klassiker zu bestellen. Die Zutaten sind alle vorhanden und die Auswahl an Spirituosen ist zwar noch nicht auf Top-Niveau, aber immer noch viel besser als in vielen anderen Bars in Polen, die immer noch schrecklichen Whisk(e)y, Wodka und R(h)um verwenden.

Das sich öffnende Bücherregal / Copyright: The Trust

Warum haben wir noch nicht über Atmosphäre und Design gesprochen? Ehrlich gesagt, weil die Qualität und die Kreativität der Cocktails für sich selbst sprechen und weil die Bar selbst einem niemals das Dekor vor die Nase setzen und versuchen wird, von anderen Unzulänglichkeiten abzulenken. The Trust ist eine Mischung aus einem britischen Privatclub mit Holz, Bücherregalen und Leder und einem Art-Déco-Musikclub, elegant, aber einladend. Tagsüber sind die Bücherregale Geheimtüren, hinter denen sich die Bar verbirgt, und die ersten Tische sowie die Sitzplätze im Freien sind zum Kaffeetrinken geöffnet. Ich brauche wohl nicht darauf einzugehen, wie sehr ich Bars mag, die mehr bieten als das "Bar-Erlebnis der alten Schule" (Öffnung 19 Uhr und keine Minute früher). Es wäre schön, wenn in Zukunft mehr als nur Kaffee angeboten werden würde, zumal die Stadt bereits fantastische Röstereien bietet. Mit seiner Lage in Krakaus alternativem Ausgehzentrum Kazimierz passt die Bar zwischen aufregenden neuen Restaurants, Geschäften und Galerien und ist dennoch in der Nähe der aufstrebenden Hotspots auf der anderen Seite des Flusses.

The Trust hat auch Verbindungen zu anderen Bars in der Stadt und ist Teil von TNT, einer Art Kollektiv zwischen ihnen und Neon, sowie Tag (daher der Name TNT), beides eher reduzierte Bars mit weniger Fokus auf Spirituosen und simpleren Menüs. Es gibt häufige Gastschichten und die besten internationalen Barkeeper, die nach Polen kommen, machen hier Station. Auch wenn es hier keine bahnbrechenden Produkte gibt - abgesehen von polnischem, tschechischem oder baltischem Alkohol -, so ist Trust doch bei weitem im Moment der einzige Knotenpunkt der Barkultur in Polen.

Gastfreundschaft und Atmosphäre sind Schlüsselwörter in jeder Bar oder jedem Restaurant in Polen, es gibt Live-Musik, in der Regel Jazz an vielen Abenden, das kostenlose Wasser im Glas wird nie ausgehen, die Aufteilung von Rechnungen in verschiedene Zahlungsoptionen ist nie ein Problem und das Personal wird Stammgäste leicht erkennen. Und das alles zu mehr als fairen Preisen (die natürlich steigen würden, wenn einige der mittelmäßigen Spirituosen gegen bessere ausgetauscht werden würden). Aber macht bitte nicht den Fehler, nur für billigen Rausch hierher zu kommen. Diese Einstellung ist offen gesagt der Grund, warum so viele Bars mit Potenzial in Städten wie Krakau scheitern. Geht in vielversprechende Bars wie diese, bestellt etwas von der Karte, lasst euch auf die Eigenkreationen ein während ihr euch mit den Leuten hier unterhalten.

Wenn jemand Lust hat, The Trust oder diese schöne Stadt zu besuchen, kann sich gerne an mich wenden, bis dahin: Cheers.

/jf

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