#34 | Himitsu, Berlin, Germany


Last Visit: June 2024

Im Dezember letzten Jahres eröffnete am Potsdamer Platz in Berlin, in recht ungewöhnlicher Location eine recht ungewöhnliche Bar: Das Himitsu. Mit dem Versuch so unbedarft wie möglich an das neue Barkonzept zu gehen, hat uns doch manch Moment und Entscheidung vor Ort überrascht. Warum? Das versuchen wir heute mit diesem Artikel zu erschließen, denn unser Besuch ist wahrlich eine kleine Geschichte von Theorie vs. Praxis, merkwürdiger Atmosphäre und so einigen Fragezeichen.


Mit dem Foto oben haben wir tatsächlich eines der Highlights des Besuchs für mich gesehen und nein, das ist weder ein Gag Richtung „Highlight war die Tür aus der Bar raus“, noch despektierlich gegenüber dem Rest gemeint. Der versteckte Eingang zur Bar ist einfach sehr cool designt. Das helle Holz, die japanischen Kultur- & Manga-Magazine als Referenz, aber auch nicht zu auffällig mit dem Zaunpfahl gewunken. Das nur kleine rote Licht und vor allem, dass die Klingel wirklich versteckt hinter der Sofabank ist und man mit der Hand quasi dahinterrutschen muss: I like.

Nach dem Klingeln wird man hineingebeten. Durch einen Noren, ein typisch japanisches Textilstück, das Räume abtrennt, geht es in die Bar. Hier fällt zunächst direkt auf, was schon in so manch Cocktailtempel für Schmunzler gesorgt hat: Die Diskrepanz zwischen PR-Fotos online und dem Eindruck vor Ort. Himitsu ist da bei weitem nicht der einzige Fall, auch in meiner Heimatstadt Köln bringe ich gerne mit einem Lachen immer wieder dieselben Beispiele. Das Foto unten zeigt ganz gut, wie es in Realität wirkt, relativ klein (wenn auch nicht beengt) und an ganz andere Lokalitäten mit den roten Velvet-Sofas erinnernd, sowie unser größter Kritikpunkt: Deutlich zu viel Licht, insbesondere für einen Speakeasy-Vibe. Dies speziell im restlichen Raum, an den Tischen selbst war es recht dunkel. Durch diese verschiedenen Faktoren wirkt es trotz der brandneuen Einrichtung auch leicht shabby oder zumindest outdated.

Copyright: Hidden Libations

Die Bar hat viele Gedanken in uns und speziell mir aufgewühlt, die sich generell auf die Barlandschaft bzw. aktuelle Meta-Themen in der Branche beziehen. Ein kleiner Abstecher beispielsweise zum Konzept selbst. Speakeasy und Japanisch scheinen die zwei Stichworte, liest man sich online etwas ein bei anderen Artikeln und Bewertungen. Doch Moment, „Japanisch“? Als im Mixology-Artikel die Bar als solche benannt wird, heißt es, Zitat: „'Eine japanisch-inspirierte Bar!', korrigiert Aspra […]“. Zunächst dachte ich, vielleicht will man als nicht-Japaner vielleicht keine kulturelle Aneignung betreiben oder ähnliches und hätte Respekt gezollt. Dann wiederum heißt es aber auf ihrem eigenen Instagramprofil „Japanese speakeasy bar in Berlin“ … Ja was denn nun? Ein wenig seltsam das Hin und Her und sicherlich auch dazu beitragend, dass bei einem Teil der Besucher sehr unterschiedliche Erwartungen auftreten.

Ein weiteres Beispiel wäre das Personal. Einerseits war der Service direkt am Tisch freundlich, motiviert und offen. Andererseits sehr ungeübt, was die Erzählungen betrifft und generell darin ein gewisses Service-Ambiente aufzubauen. Dass trotz nur 1/3 gefüllter Bar, lieber mit anscheinend Bekannten aus der Branche viel geredet wird, statt sich beispielsweise auch persönlich als Barkeeper nach dem Wohlbefinden. bzw. der Zufriedenheit zu erkundigen (was für mich ein klares Zeichen einer japanischen Gastgeber-Inspiration wäre), trug zumindest auch nicht zu einem besonderen Flair bei.

Ich brauche in einer Bar wie Himitsu sicherlich keinen Service aus Michelin-Restaurants, aber ein wenig mehr Eleganz und Übung in der Sprache und dem Nahebringen des Konzepts wäre doch etwas immersiver gewesen. Außerdem verstehe ich nicht ganz, warum man Gästen, die zu einer doch noch recht geheimen Bar offensichtlich aufgrund von Artikeln und Tipps und vor allem nur dank Reservierung (notwendig hier, was ich wiederum sogar gutheiße) gekommen sind und somit das Konzept kennen müssen, nochmal (und das recht oberflächlich) erklärt, was „Speakeasy“ ist. Das ist, als würde man jedem Kunden, der in einen McDonalds geht, ungefragt nochmal erklären, was eigentlich ein Fastfood-Restaurant ist.

Ich könnte noch den ein oder anderen weiteren Gedanken teilen, doch kommen wir noch zum Super-GAU, bitte jedes der drei Fotos anklicken und auf den Tisch achten:

Unser Besuch im Himitsu war der einzige Barbesuch in meiner Erinnerung, bei dem ich mich tatsächlich physisch etwas geekelt habe. Beim Hereinkommen dachte ich noch aus der Ferne, die Tische hätten nur eine etwas seltsame Musterung. Betrachtet man PR-Fotos erkennt man durchaus auch eine leichte Marmorierung, was möglicherweise zusätzlich den Service verwirrt im Erkennen von Flecken und Schmutz. Aber das in den Fotos oben sind dutzende Flecken von Gläsern, Schmutz und Reste und nichts, aber wirklich gar nichts davon stammt von uns selbst. Wie man erkennt, ist das meiste auch schon länger eingetrocknet. Der Tisch neben uns sah ähnlich, wenn auch nicht ganz so voll aus. Wie das passieren kann bei 20–25 Plätzen, vllt. 5 Tischen und dem Fakt, dass man selbst in einer Kneipe als Erstes lernt, die Tische vor jedem Gast nochmal abzuwischen, ist mir nicht ganz klar.

Kankitsurui

| Tio Pepe Sherry
| Bergamot
| Mancino Sakura Vermouth
| Umeshu
| Grapefruit Bitters

Himitsu's Negroni

| Japanese Gin
| Awamori
| Fernet Blend
| Vermouth Blend
| Yomogi Liqueur
| Campari Powder

Vielleicht kam inzwischen Verwunderung auf, warum oben in einem Foto das Menü zensiert war oder nur zwei der Drinknamen dort stehen. Das Himitsu legt Wert auf ein gewisses, intimes Flair und bittet daher auch Gäste beispielsweise, die Karte nicht zu fotografieren. Hier geht es mehr um die konkreten Zutaten in jedem Drink, die Cocktails selbst und die Bar darf gerne fotografiert werden. Das respektieren wir natürlich und finden es durchaus eine valide und nette, zum Speakeasy-Thema passende Herangehensweise, auch die Bitte wird sehr respektvoll vermittelt. Daher teilen wir hier nur die zwei Rezepte, die bereits auf ihrem Instagram gepublished wurden – glücklicherweise die zwei besseren des Abends – und besprechen alle Drinks zusammen.
Der easy Aperitif-Style Kankitsurui gab mir eine gewisse Hoffnung für den Einstieg. Ein netter, aromatischer Foam, für einen Fino-based Drink trotzdem mit schönem Körper und durchaus Aromenfülle, kam er zitrussig, floral und trocken-seidig daher. Die Aromenkombination ist jetzt nichts Neues, wurde hier aber durchaus gut umgesetzt, Umeshu kam nicht sonderlich heraus, wurde aber auch nicht zu sehr vermisst.

Der andere – mir noch mehr als John gefallende – Drink war der Haus-Negroni. Der auch als Insel-Sake bezeichnete Awamori gibt dem Negroni-Template einen leichteren, seidigen Körper. Die Yomogi-Note fehlte mir ein wenig im Geschmack und hätte gerade aufgrund ihrer Kräutrigkeit und dem eben etwas fehlenden Biss (für einen Negroni) gerne etwas kräftiger sein können. Ohne das Campari-Pulver funktionierte der Drink nur halbwegs als sehr smoother, runder, japanisch inspirierter Negroni. Nimmt man das Pulver wirklich beim Trinken intensiv mit auf, hat es den Drink in der Tat nochmal auf eine neue Stufe gehoben und mich dann doch zufrieden zurückgelassen. Die trockene Bitterkeit mit etwas Pop fehlte mir zuvor, auch als nicht der größte Negroni-Fan.

Die beiden übrigen Drinks waren für uns nicht zufriedenstellend, wie gesagt möchten wir dem Wunsch entsprechend keine Zutaten vermitteln. Der Sour-Style Drink war jedoch recht flach und wenig komplex, auch die Textur hätte besser sein können. Der „kräftigere“ Drink im Tumbler, der sogar mit Umami-Noten auftrumpfen sollte, war ähnlich wie mein Negroni ohne dessen Pulver auf der sehr smoothen (nicht das gute „smooth“, das langweilige „smooth“) Seite. Das Umami wiederum war fast nicht aufzufinden. Einige, wenige Cocktails werden hier auch in japanischen Tongefäßen gelager. Was zunächst natürlich im vermittelten gedanklichen Bild etwas hermacht, aber man geschmacklich eher weniger herausschmeckt, im Vergleich zu anderen Lagerungsmethoden und vermutlich eher noch mehr zu dem sehr glattgebügelten Endergebnis beitrug. Die Spirit-Auswahl ist im Übrigen wenig verwunderlich relativ japanisch geprägt, jedoch auch eher das Mindeste, was man führen sollte, wenn man dies auch als Aushängeschild nutzen möchte. Insbesondere japanische Liköre fallen positiver auf und könnten sicher für manch Twist herhalten. Die Whisky-Auswahl und auch andere Kategorien wie Sake oder gar Shochu sind eher minimal für eine Bar, die die japanische Kultur hochhält.

Copyright: Manifesto Market

Ich könnte hier noch weiter über das „interessante“ Publikum an jenem Tag und die Einrichtung schwadronieren und wie sehr ich allgemein, dank dem Himitsu, über Kriterien für Bars nachdenken musste. Als auch was wirklich wichtig in einer Kritik wäre oder wiederum anmaßend einzufordern, usw. Auch hat mich im Nachhinein wie nur selten interessiert, was andere mir bekannte Besucher, sowohl professionelle Bartender, als auch ähnlich interessierte und von mir vollstes Vertrauen genießende Barnerds dazu meinen. Einige ebenso kritische Erfahrungen kamen hinzu, was mich bezüglich meines eigenen Eindrucks in gewisser Weise erleichterte, andererseits hat ein auch recht bekannter Barfly-Blog in hohen Tönen zur Bar geschrieben.

In der Tat kann ich mir auch vorstellen, dass man mit der richtigen Stimmung beim Betreten der Bar, mit etwas weniger Beleuchtung an dem Tag, statt an den Tischen direkt an der Theke sitzend, sowie nur (z. B.) die zwei genannten, besseren (wenn auch nicht großartig berauschenden) Drinks trinkend, insgesamt einen angenehmen Abend mit einer in anderen Berliner Bars nicht vorhandenen Atmosphäre bekommen und vielleicht auch genießen kann. Wenn die Sterne quasi in der richtigen Position sind.

Umso mehr ich über unseren Besuch grübelte, fiel mir auf, dass ich eigentlich weniger enttäuscht, als viel mehr verwirrt und etwas perplex aus der Bar herauskam. Für Enttäuschung muss ja auch eine gewisse Erwartung vorhanden sein und wir hatten uns absichtlich absolut nichts zuvor durchgelesen. Das Einzige, was mir im Kopf blieb, ich aber nie als ernste Einschätzung mit in die Bar nahm, war die Überschrift des Mixology-Artikels. Denn nur über die Suche nach „Berlin“ auf deren Website, für schnelle letzte Bartipps, bin ich ja auf die Bar aufmerksam geworden. „Die Highend Bar im Food Court: Das Himitsu räumt mit Klischees auf“. Mich regt ja im Alltag schon oft genug auf, wie viele Begriffe und Wörter mit inhaltlichem Gewicht völlig unpassend und im Überschuss genutzt werden, Liebe, Hass, „aller Zeiten“ oder Superlative wie „das Beste“, „das Krasseste“, für jeden kleinen Alltagsdriss. Aber mit der Überschrift hat „Highend“ wirklich jede inhaltliche Bedeutung verloren.

Klischees werden hier auch nicht wirklich aufgeräumt, eher im Gegenteil wahre und in der Realität bestehende Tugenden der japanischen Barszene übergangen. Was ja umso absurder ist, wenn absichtlich diese Kultur als Inspiration dient. Präzision, Eleganz im Service, Handwerk, Detailverliebtheit. Die 4 ersten Tugenden, die mir zum Thema Japan in Gastronomie allgemein und Bars im Speziellen einfallen und wir haben sie zumindest bei unserem Besuch recht selten vorgefunden.

/rds


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