#30 | DSTRCT.ART, Düsseldorf, Germany
Last Visit: May 2024
Aktuell schreiben wir an einigen Bar Reviews, die historische, lang bestehende Institutionen behandeln. Umso passender dazwischen nun auch ein ganz junges, frisches und aus verschiedenen Gründen spannendes Projekt vorzustellen: DSTRCT.ART in Düsseldorf.
Eigentlich wollten wir das erste Barkultur-fokussierte Medium sein, das euch davon berichtet, von diesem neuen Geheimtipp im Rheinland. Doch leider haben uns die fizzz-Awards des gleichnamigen Magazins – in denen die Bar mal direkt vom Start weg in die Top 3-Nominierten der „Bars des Jahres“ in Deutschland gewählt wurde – einen Strich durch die Rechnung gemacht, frech. Das liegt aber natürlich nur daran, dass wir uns etwas Zeit lassen wollten und insbesondere nach Runde eins noch die zweite Volume des Menüs, hier „Artbook“ genannt, testen wollten. Journalistische Sorgfaltspflicht und so. Apropos testen: Und wie wir das gemacht haben, wir haben tatsächlich am Ende in 2 ausgiebigen Sessions beide durchaus umfangreichen Menüs komplett durcharbeiten können.
Doch lasst uns konkreter werden: Das DSTRCT.ART ist von außen recht unscheinbar, in einem Eckhaus in einem Wohnviertel mit etwas Gastro und Geschäften gelegen. Von außen könnte es auch ein minimalistisches, modernes Café für tagsüber sein. Ein paar kleine Außentische sind da, speziell für den Sommer jetzt, kann man hier also auch einen Platz finden. Innen erwartet einen, was man sich bei dem „ART“ im Namen fast denken könnte: Cleanes Design, modern, progressiv, aber nicht zu aggressiv dabei, eher zeitlos ruhig, größtenteils in Weiß, Schwarz und den Grautönen dazwischen eben.
Copyright: DSTRCT.ART
Durchaus ein Kontrast zur Außenansicht, fühlt man also den Eintritt in eine andere Welt, eine bestimmte Idee drinnen, etwas, das jede Bar schaffen sollte. Insbesondere die Sitzgelegenheiten weiter hinten im Raum sind cool, leicht Space Age-Style, auch die kubistisch angehauchten Lampen passen gut zum Rest. Was noch auffällt: Die moderne Kunst, hier natürlich nicht einfach als nette Deko – man denke erneut an den Namen – sondern wechselnd in Kooperation mit lokalen Künstlern und Künstlerinnen ausgestellt. Sollte es öfter geben, kostet ja nichts und bringt dem Gast immer neue, anregende Eindrücke.
Von den Räumlichkeiten zu den Menschen dahinter, die sind hier nämlich besonders wichtig: Patrick Schweiger und seine Partnerin Kathi Niemeyer zeichnen verantwortlich für die neue Bar. Schweigers wichtigste Station zuvor war das Pearlz in Bochum, quasi die eine bekannte, wichtige Bar dort, 5 Jahre und davon 3 direkt als Bar-Manager war er dort. Man könnte denken, dass vielleicht als nächste Stufe danach noch erst eine Chef-Position in einer Großstadt kommt, vor dem eigenen Baby, aber man entschied sich für einen spannenderen Weg. Nach ein paar Consulting-Jobs tourte man als Pop-up Concept unter dem bereits festen Namen für fast ein Jahr durch Cafés, Röstereien und Restaurants mit Signature Drinks. Eine super Idee um den Namen bereits bekanntzumachen, Mundpropaganda und Social Media sind da natürlich ideal. Dies wurde dann solange verfolgt, bis eine passende Immobilie frei wurde, auch wir sind so auf den Konzeptnamen aufmerksam geworden
Von Anfang an war klar, das wird eine Bar mit Community und Kooperation. Neben den Künstlern und Künstlerinnen an den Wänden arbeitet man z. B. mit der eigenen Pralinenmanufaktur einer Freundin (Duchess) zusammen, die extra für die Bar eigene Kreationen erstellt (mehr dazu unten). Ein Beispiel nochmal einige Stufen einzigartiger: Ein paar Stand-up Abende fanden bereits statt, dafür wird der Barraum natürlich umgebaut und nun gibt es sogar interaktive Events, angelehnt an Shows wie Familienduell. Alle paar Wochen/Monate finden diese statt, man muss also keine Sorge haben, da aus Versehen hineinzustolpern. Ja, ich finde es auch irgendwie weird oder nennen wir es „ungewohnt“ für hochklassige Bars. Aber alles was einen besonders macht und eine Story wert ist, bekommt meine Zustimmung (wenn auch nicht meine Anwesenheit bei jenen Events, Bars sollten eh nur zu 1/3 befüllt werden dürfen, wenn man meinen isolationistischen Wünschen folgen würde …). Nicht nur das, was die Events und Kunst angeht, muss man auch sofort an manch Diskussion während des Barsymposiums in Köln und im Mixology Magazin denken, „die Bar als Kulturraum“ (und entsprechender Schutz/Förderung). Da scheint man hier, ohne genau die Intention gehabt zu haben, quasi an der „forefront“ zu sein und schon so kurz nach Start gute Argumente zu liefern.
Das Menü wird alle 6 Monate fast komplett ausgetauscht, 15 + 3 (nicht alkoholische) Drinks finden sich hier. Das ist heutzutage durchaus überdurchschnittlich, insbesondere für ein Halbjahres-Menü und dazu dann noch häufig wechselnde „Drinks Of The Week“. Dem Kunstmotto folgend ist jeder Drink mit einer kleinen Comic-artigen Zeichnung inszeniert, außerdem hat man sich für ikonografische Hilfen entschieden. Verschiedene Eigenschaften wie „boozy“, „frisch“, etc. werden mit bestimmten Symbolen auf den ersten Seiten erklärt und finden sich jeweils bei den Drinks. Dazu dann noch je ein netter, den Leser zum Schmunzeln bringender Begleittext. Insgesamt fährt man, was die Drink-Präsentation betrifft, klar den modern-progressiven Minimalismus, was mir so langsam weltweit deutlich zu sehr Überhand annimmt. Aber hey, ich werde es jetzt nicht gerade bei der Bar, die es geschmacklich dabei so top umsetzt, als Kritik anwenden und wenn, passt die dezente Avantgarde-Art ja in dieses Konzept hier. Inhaltlich findet man in vielen Drinks Kreationen mit dem eigenen Rotovap als Zutat oder klasse Cordials, von Miso bis Mango-Curry, was das Herz begehrt. John und ich selbst konnten zusammen das erste Menü Volume durchtesten, das zweite habe ich alleine probiert. Ich finde es passend aus beiden Menüs diesmal je 2 Drinks vorzustellen, quasi das Best-of meiner Highlights aus dem ersten Jahr der Bar.
Palo Picasso
| Mezcal Doba-Yej
| Pandan Infused Patron Reposado
| Distilled Lemon Verbena
| Palo Santo Cordial
| Manzanilla Sherry
| Bergamotte Perfume
Direkt einer der ersten beiden Drinks bei unserem ebenso erstem Besuch und es gibt nichts Schöneres für einen Barnerd, als dieses spezielle Gefühl, direkt mit dem Starter-Drink zu denken: „Ah, ja, das wird gut hier“ und „Hier bin ich richtig“. Eh schon mein Geschmack, mit Mezcal, Palo Santo und Sherry, wird er im Menü beschrieben als „heavier Gimlet“, nachdem man eigentlich mit einem soften Manhattan gestartet war bei der Planung des Drinks. So heavy im Vergleich zu guten Gimlets finde ich ihn gar nicht, aber in der Tat wundervoll „funky“, wie es ebenso in der Eigenbeschreibung zu finden ist. Einige intensive Aromen werden durch den Sherry und den perfekt balancierten Cordial schön ausgewogen miteinander vermählt, von mineralisch-rauchigen Mezcal, über die nussige Pandan-Note, bis hin zu Lemon Verbena und auch die Bergamotte in der Nase. Er wirkt fast wie ein (sehr aromenintensiver) Milk Punch, so silky wie er im Körper anmutet, große Klasse. Ach und dazu begleitet von einer meiner Lieblingspralinen von Duchess, dem „Waldspaziergang“ mit Kiefernnadeln und Rauch-Aromatik.
TGIF (Thank God It’s Fennel)
| Bombay Premier Cru
| Valdespino Fino Sherry
| Fennel & Apple Cordial
| Orange Bitters
Und wir machen direkt weiter, wieder mit Cordial und wieder ist auch Sherry dabei. Was soll ich denn machen? Hier ein wenig trockener, aber immer noch seidig und doch mit vollem Aromen-Punch, wie es sein muss. Ein crispy Drink, der gleichsam leicht spritzig fruchtig ist dank Granny Smith Apfel und mit dem kleinen, herbalen Touch. Insbesondere das Aroma ist absolut fesselnd und könnte regelrecht als Parfüm abgefüllt werden.
Granny Don't Be Hasty
| Angel's Envy Bourbon
| Calvados Christian Drouin
| Granny Smith Cordial
| Sherry Blend
| Waalem White
| CO₂
… wir ignorieren jetzt mal alle das 3. Mal „Cordial“ und „Sherry“ im Rezept, hat keiner gesehen. Hey, immerhin diesmal im Longdrink-Style, bzw. einfach selbst karbonisiert auf der eigenen Co2-Anlage, statt mit laschem Filler getopped. Das DSTRCT.ART führt nämlich mehrere Drinks sogar direkt von Tabs an der Theke, damit immer perfekt karbonisiert aus dem 20-Liter-Keg. Auch hier wechselt alle paar Wochen ein neuer Drink rein mit Karbonisierung und erweitert das temporäre Portfolio. Im Fall des Granny jedoch gestalteten sich Kegs aufgrund der Zutaten als schwieriger, also wird klassisch Bottle-karbonisiert, genauso intensiv und frisch, nur ein wenig aufwendiger.
Als den Starter bei dem zweiten Besuch genommen, war ich sehr positiv überrascht, wie gut er mir gefällt. Longdrinks müssen nämlich einiges bieten, um mich abzuholen und das war hier der Fall. Insbesondere der Sherry-Blend kommt überraschend deutlich und Tiefe gebend durch, diese oxidative, nussige Note durchdringt knackigen, grünen Apfel, dezente Toffee-Noten vom Bourbon und noch mehr Trauben und leichte Floralität vom weißen Wermut.
Yellow Mango Curry
| Merlet Cognac VS
| Curry Infused Takamaka Blanc
| Chili Distillate
| Fresh Acidified Mango
| Agave
| Coconut Milk Filtered
Da wie in quasi allen Bars das Sommermenü insgesamt ein klein wenig leichter ausgefallen ist, als die vorige Iteration, habe ich mich natürlich besonders auf die Drinks mit intensiveren Aromen gefreut. Der Yellow Mango Curry war bei den Signatures mein Favorit. Curry und Chili sieht man beides derzeit nicht mehr so selten in den kulinarischer inspirierten Bars, so gut umsetzen können es jedoch die wenigsten. Wie beim Palo Picasso quasi bereits beschrieben, hier tatsächlich ein Milk Punch, aber mit Betonung auf dem Punch, und zwar in your face. Der Takamaka Blanc kommt zwar ohne viele % aus, dafür sind Mango, Curry und auch das im Rotovap hausgemachte Chili-Destillat (Empirical Spirits bekommt man ja nicht mehr hierzulande) perfekt portioniert, um auch als im Körper smoother Milk Punch den ganzen Mund auszufüllen. Aber ohne diese, teils seltsame, Beinote bei falschem Einsatz, die einem vortäuscht „das schmeckt mehr nach Essen als Drink“, die man manchmal bei ähnlichen Experimenten bekommt. Intensiv, gelb-goldene Noten und dezente Kokosnuss im Mund plus süßliche Agave, genial auch im Foodpairing die ebenso mit einer Kokos-Currypaste gefüllten Praline in weißer Schokolade. Die ihres Zeichens übrigens auch in meinen Top 2 bis 3 der besonderen Pralinen der Duchess Pralinenmanufaktur für die Bar zu finden ist. Jene kann man, nebenbei bemerkt, auch als Barsnack im Trio bestellen und dann aus diversen Sorten auswählen, was uns als neue Fingerfood-Idee an der Theke sehr gefallen hat.
Kurz festhalten muss ich außerdem noch zwei Highlights, nämlich House Martini und House Negroni. Die zwei Positionen auf der Karte wechseln sogar ca. jeden Monat und aktuell sind sogar auch je zwei zur Auswahl, was die Cocktail-Auswahl nochmal steigert. Beide waren fantastisch, ersterer mit selbstgemachtem Kurkuma-Destillat (neben Gin), letzterer mit Timut-Pfeffer mazeriertem Tequila, Blutorangen-Destillat und Zimt & Tonkabohnen infused Antica. Der House Negroni ist vielleicht die größte Aromenbombe der beiden Menüs bisher und ein Genuss, mit dem man sich lange und in Ruhe beschäftigen kann. Auch, weil das Ganze mit dem 1a-Eis wundervoll langsam verdünnt wird.
(manch Zutat wurde auch pur verköstigt und das LT-Seal of Approval vergeben)
Noch ein paar kurze Worte zu einer ebenfalls kulinarisch interessanten und kreativen Idee, die bereits nach einem halben Jahr umgesetzt wurde. Die Bar arbeitet zusammen mit dem Projekt The Tasting Yard. Ein Food Lab in Düsseldorf, inklusive Urban Gardening, 1600 Quadratmeter Anbaufläche und Experimenten. Einer der Drinks auf der neuen Karte bezieht sich auch direkt auf die Kooperation, der „Yo Soy Margarita“ mit unter anderem Knoblauch-Honig, Koji-Wasser und dehydrierter Sojasoße. Faszinierend und für mich hätte er sogar durchaus gerne noch intensiver in die kulinarischen Noten abdriften können.
Langsam müssen wir ein Ende finden, das quasi auch der Grund ist, warum wir in diesem Artikel mal etwas ausführlicher wurden: Das DSTRTCT.ART hat uns wirklich aus dem Nichts überrascht und bereits beim ersten Besuch begeistert. Direkt war klar, dass hier eine der spannendsten und besten deutschen Neueröffnungen der letzten 4 bis 5 Jahre eingeschlagen hat. Mit dem zweiten Besuch wurde dann noch weiter zementiert, dass das kein „One-Hit-Wonder“ war, sondern man sich im Rheinland über eine neue, prägende Institution freuen kann. Voll interessanter Ideen auch außerhalb der Drinks und mit einem Paar an der Spitze, das absolute Gastgeber-Exzellenz ausstrahlt. Nicht nur das, unterhält man sich länger mit Patrick, bekommt man eine Ahnung, dass die Qualität der Cocktails auch an dem erweiterten kulinarischen Interesse liegt. Von der erwähnten Arbeit mit The Tasting Yard, zum Thema Tee, auf das wir bzgl. dem NOMA Pop-up in Kyoto kamen, bis zu den sehr spannenden Kulinarik-Tipps für andere Städte, die ich hier einsammeln konnte. Wir blicken voller Spannung und Vorfreude auf die nächsten Jahre mit dem DSTRCT.ART.
/rds
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